kettcar - Fliegende Bauten (live)

Veröffentlicht am: 22. Oktober 2010

Tonträger

Tracklist

01. 48 STUNDEN
02. VOLLE DISTANZ
03. TRÄNENGAS IM HIGH-END-LEBEN
04. LANDUNGSBRÜCKEN RAUS
05. BALKON GEGENÜBER
06. BALU
07. FAKE FOR REAL
08. MONEY LEFT TO BURN
09. HAUPTSACHE
10. AM TISCH
11. NACHT
12. GRACELAND

Beschreibung

Joe Strummer hat irgendwann in den 70ern mal gesagt, er möchte keine Liebeslieder mehr schreiben, weil zu diesem Thema bereits alles gesagt sei. Wer von Liebe singt, könne nur im Klischee enden.
Leider konnte er „Nacht“ vom zweiten Kettcar-Album „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ nicht mehr hören, das drei Jahre nach seinem Tod erschienen ist. „Meine Welt aufgehoben und ich/ kann die Welt in drei Wörtern erklären/ wenn ich denn müsste … dort hinten wird’s hell“, singt Marcus Wiebusch da – und widerlegt mal eben den Clash-Sänger.

Noch mal knapp fünf Jahre später erscheint „Nacht“ ein zweites Mal, auf der Live-CD „Fliegende Bauten“. Und dieses Mal spielen sogar die Geigen mit voller Breitseite dazu. Doch mit Kitsch und Klischee hat das immer noch nichts zu tun.

Livealben machen Bands in der Regel, um in der langen Zeit zwischen zwei Studioplatten noch ein paar Euro zu verdienen. Kettcar waren sich dafür immer zu schade, obwohl es Anlässe genug gegeben hätte: Festivalauftritte irgendwo im Süden etwa, als der Fanchor bei „Landungsbrücken raus“ sechzehneinhalbmal so laut war wie die Band selbst. Oder der ausverkaufte Tourmarathon zur Veröffentlichung von „Sylt“ – in zehn Tagen durch sieben verschiedene Clubs ihrer Heimatstadt Hamburg.

Es musste erst etwas ganz besonderes passieren, bis Kettcar weich wurden: Im Rahmen des Sommerfestivals spielten sie ein Sonnenaufgangskonzert in der großen Halle des Hamburger Kulturzentrums Kampnagel. Für diesen Anlass schrieben sie gemeinsam mit Michael Hagel neue Arrangements, um die bekannten Kettcar-Songs mit akustischen Instrumenten und einem Streicherquartett zu geben. Auf der vor kurzem erschienenen DVD „Live auf Kampnagel – 5:43“ ist der magische Moment festgehalten, in dem das riesige Tor hinter der Bühne aufgeschoben wird und die Morgensonne das Bühnenlicht überflüssig werden lässt.

 Doch der neue Blick auf die alten Songs war viel zu gut, um ihn einmalig sein zu lassen. Im November 2009 gingen Kettcar zusammen mit dem Streicherquartett auf eine Tour jenseits der üblichen Rockschuppen. An sechs Abenden spielten sie in Kirchen, bestuhlten Konzerthäusern – und eben auch in dem wunderschönen Hamburger Kulturzelt Fliegende Bauten. 

So ist „Fliegende Bauten“ eben nicht eines dieser verkappten Best-of-Alben mit Jubelgeschrei der Fans. Die Songs sind wohlvertraut, doch es gibt an ihnen jetzt vieles zu entdecken, was man vorher noch nicht wahrgenommen hat. Vor allem sind es die trotz ihrer Einfachheit so intelligenten und entlarvenden Texte von Marcus Wiebusch, die durch die Arrangements mit neuen Akzentuierungen freigelegt werden und stärker in den Vordergrund treten.

Da gibt es plötzlich nicht mehr den Hauch einer Chance auf Ablenkung, wenn sich bei „Fake for real“ ein Herz inmitten einer Welt der neoliberalen Zumutungen zusammenkrampft. Kettcar holen „Hauptsache glauben“ in ihr Set zurück, und man könnte meinen, Wiebusch hätte damals schon vorausgesehen, wie sich in den Jahren danach scheinbar unumstößliche Wahrheiten verabschieden. Und wer hätte gedacht, dass man den Trennungsschmerz vom „Balkon gegenüber“ noch intensivieren kann?

Und dann ist da „Nacht“. Hätte Joe Strummer diese Aufnahme noch hören können, er hätte Tränen in den Augen gehabt. Und das ganz bestimmt nicht, weil er vor mehr als 30 Jahren einfach falsch lag.